Rechtsanwaltskanzlei
Matthias Teichner
 _______________________________________
Tätigkeitsschwerpunkt: Arzthaftungsrecht und Medizinrecht
 
 
Schmerzensgeld
 
 

In der Regel sind Klagen in Arzthaftungssachen im Wesentlichen darauf gerichtet, dass den Anspruchstellern vom angerufenen Gericht ein Schmerzensgeld zugesprochen werden soll. Der geltend gemacht Anspruch kann im Antrag entweder beziffert, oder in das (pflichtgemäße) Ermessen des Gerichts gestellt werden. Entscheidet man sich für die zweite Variante, so ist man dazu verpflichtet, entweder im Antrag oder spätestens in der Klagebegründung einen Mindestbetrag zu benennen, den man für angemessen erachtet. Unabhängig von der Antragstellung hat das erkennende Gericht das Recht (besser: die Pflicht), eigene Erwägungen darüber anzustellen, welches Schmerzensgeld im Einzelfall "angemessen" ist. Der Bundesgerichtshof hat hierzu in einem im Jahre 1996 veröffentlichten Urteil festgestellt, dass dem Richter bei der Festsetzung des für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes durch die Angabe eines Mindestbetrages oder einer Größenordnung nach oben keine Grenzen gezogen sind (BGH VersR 1996, S. 990).

In der Praxis muss davon ausgegangen werden, dass sich Gerichte in Deutschland grundsätzlich einerseits an den Vorgaben der Anspruchsteller und andererseits an veröffentlichten oder gerichtsbekannten Entscheidungen in "Parallelfällen" orientieren. Soweit sich von Seiten der Gerichte an den Beträgen orientiert wird, die von Klägerseite aus – meistens als Mindestbeträge – genannt werden, wird häufig nicht bedacht, dass zumindest bei nicht rechtschutzversicherten Klägern die genannten Beträge aus Kostengründen eher im relativ unteren Bereich angesiedelt werden. Hierauf hat dankenswerter Weise das OLG Köln in einem im Jahre 1995 veröffentlichten Urteil hingewiesen (OLG Köln BB 1995, S. 899).

Der Autor selbst kann aus eigener Erfahrung von einem Schadenfall berichten, der in dem Urteil des HansOLG vom 24.10.2003 (siehe Urteile und Vergleiche) sein Ende gefunden hat. Die Klage, auf deren Basis seinerzeit Prozesskostenhilfe gewährt worden war, hatte einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens DM 100.000 zur Grundlage. Erst kurz vor Urteilsverkündung wurde – ohne dass ein entsprechender Antrag etwa im Rahmen einer Klageerhöhung gestellt wurde – von Klägerseite auf die dargestellte Konfliktsituation sowie darauf hingewiesen, dass eher ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 500.000 für das erlittene Apallische Syndrom angemessen sein dürfte. Dieser Hinweis wurde dann vom Gericht zum Anlaß genommen, genau diesen Betrag dem Kläger zuzusprechen. Aufgrund der erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofes hätte das Gericht den Betrag auch völlig losgelöst von den Vorgaben der Klägerseite zusprechen können (und müssen!).

Indem es sich Gerichte bei der Bemessung von "angemessenen" Schmerzensgeldern in Arzthaftpflichtangelegenheiten in der skizzierten Art und Weise des öfteren etwas zu leicht machen – nicht selten dient beispielsweise die sogenannte Hacks-Liste als alleinige Orientierungsgröße – werden hierdurch m.E. zu häufig zu niedrige und damit nicht angemessene Schmerzensgelder zugesprochen. Diese dienen dann wieder als Orientierungshilfen bei späteren Entscheidungen, aber auch bei außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen, wodurch die Beträge noch mehr Verbindlichkeit erfahren.

Exemplarisch soll ein unlängst veröffentlichtes Urteil des OLG Köln vom 04.08.1999 als Beispiel dafür dargestellt werden, dass in Deutschland viel zu niedrige Schmerzensgelder zugesprochen werden. Das OLG Köln hat in diesem Schadenfall einer Klägerin für ein um eineinhalb Jahre zu spät erkanntes und deshalb entsprechend verzögert behandeltes Brustkarzinom ein einmaliges Schmerzensgeld in Höhe von DM 15.000 zugesprochen. Der Entscheidung lag die – aufgrund einer Beweiserhebung getroffene – Überzeugung des Gerichts zugrunde, dass infolge der Falschbehandlung eine Chemotherapie durchgeführt werden musste, die sonst hätte unterbleiben können. Darüber hinaus ging das Gericht von einem fehlerbedingt erhöhten Rezidiv- und Letalitätsrisiko der Klägerin aus. Angesichts dieser Umstände ist es nicht nachzuvollziehen, geschweige denn ähnlich Geschädigten vermittelbar, wie das Gericht zu dem Ergebnis gelangen konnte, dass ein Betrag in Höhe von DM 15.000 einen "angemessen" Ausgleich für die Falschbehandlung und die hierdurch verursachte Schädigung darstellt.

Selbstverständlich gibt es kein "angemessenes" Schmerzensgeld für eine derartige Falschbehandlung. Aber wenn man schon den im Grunde genommen untauglichen Versuch unternimmt, eine iatrogene Körperverletzung mit einem Geldbetrag auszugleichen, dann muss ein Betrag zugesprochen werden, der von der Bevölkerung – in deren Namen Urteile gesprochen werden – zumindest halbwegs akzeptiert wird. Im vorliegenden Fall würde ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens DM 50.000 eher auf eine allgemeine Akzeptanz stoßen als der tatsächlich zugesprochene Betrag, der als völlig unverhältnismäßig einzustufen ist.

Mit der geforderten, weil längst überfälligen allgemeinen Erhöhung von Schmerzensgeldern im Bereich der Bundesrepublik Deutschland wird selbstverständlich nicht den sogenannten "amerikanischen Verhältnissen" das Wort geredet. In den USA werden Summen zugesprochen, die exorbitant hoch liegen und deshalb ebenfalls nicht angemessen sind. So war der Presse unlängst zu entnehmen, dass einer 36-jährigen Amerikanerin wegen einer Fehldiagnose im Zusammenhang mit einer Brustkrebserkrankung (die Tumore wurden als Zysten diagnostiziert) eine Entschädigung in Höhe von 31 Millionen Dollar zugesprochen wurde. Die Verhältnisse in unserem Land und in den USA stehen sich ganz offensichtlich als Extreme gegenüber. In dieser Situation läge es an sich nahe, die "Mitte" als Lösung des Problems anzustreben. Indes wäre auch diese Mitte für die Kostenträger (im wesentlichen die Versicherer) wahrscheinlich nicht finanzierbar. Die Beiträge würden im übrigen für die Ärzte in das Unermessliche steigen.

Das Landgericht München hat ganz aktuell mit einem (nicht) rechtskräftigen Urteil vom 29.03.01 erstmals im Ergebnis die Millionengrenze erreicht. Einem 48jährigen Verkehrsunfallopfer wurde zum einen ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 750.000 und zum anderen zusätzlich eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von DM 1.500 zugesprochen. In der Urteilsbegründung heißt es, man habe von Seiten des Gerichts weder vor, einen Meilenstein zu setzen, noch wolle man Rechtspolitik betreiben. Allerdings sei man der Auffassung, dass Schmerzensgelder mit der inflationierenden Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten Schritt halten müssten, um ihrer Ausgleichsfunktion gerecht zu werden. Im übrigen würde die Erhöhung der bisher zugesprochenen Schmerzensgelder allgemein in Fachkreisen befürwortet werden. Dieses Urteil lässt hoffen, denn auch wenn dies tatsächlich nicht beabsichtigt gewesen sein sollte: das Urteil des LG München wird Maßstäbe setzen.

Nach allem muss an die Richterschaft im Bereich des Arzthaftungsrechts der Appell gerichtet werden, bei der Festsetzung von Schmerzensgeldern das Ermessen tatsächlich auszuüben und dabei das erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofes zu bedenken. In der Vergangenheit wurden häufig zu niedrige Schmerzensgelder zugesprochen. Zu demselben Ergebnis gelangte das Schleswig-Holsteinische OLG in einem Urteil vom 14.02.1990. Deshalb dürfen bei aktuellen Entscheidungen solche aus der Vergangenheit nur unter großem Vorbehalt als Maßstab herangezogen werden. Unter keinen Umständen reicht es aus, Beträge zum Beispiel der Hacks-Liste zu entnehmen und lediglich einen Inflationszuschlag hinzu zu rechnen. Der Hacks-Liste darf – genauso wie jeder anderen Tabelle – nicht quasi "sklavisch" gefolgt werden. Wir – die Juristen – haben unsere langjährige Ausbildung und Qualifikation zum Richteramt nicht dazu absolviert, um Schmerzensgeldtabellen lesen und abschreiben zu können. Eine derartige Vorgehensweise ist im übrigen auch nicht dazu geeignet, eine Einzelfallgerechtigkeit sicher zu stellen.

 
 
Zurück zu
 
Verschiedenes
 
Hauptseite